Die Aktivisten von Gruppen wie Fridays for Future richten ihren Fokus zunehmend auf den Nahostkonflikt. Dahinter steckt mehr als blosse Solidarität mit den Menschen im Gazastreifen.
Die blonden Haare der jungen Frau sind zerzaust, sie ist in ein Palästinensertuch gehüllt, während sie in die Handykamera spricht. Sie ist weltbekannt: «Mein Name ist Greta Thunberg und ich komme aus Schweden. Wenn ihr dieses Video seht, wurden wir in internationalen Gewässern von israelischen Kräften abgefangen und entführt.»
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Was danach folgt, wirkt wie ein inszeniertes Drehbuch mit mehreren Hauptfiguren. Auf der einen Seite: eine selbsternannte Friedensflottille, unterwegs im Kampf gegen den vermeintlichen «Völkermord» und die angebliche Hungerblockade in Gaza. Auf der anderen Seite: das israelische Militär und seine gut geölte PR-Maschinerie. Und da ist noch ein dritter Akteur: das Publikum, für das dieses Schauspiel ganz offensichtlich in Szene gesetzt wurde.
Die «Madleen» legte in der sizilianischen Stadt Catania ab. An Bord: zwölf Aktivisten aus verschiedenen Ländern, einige Säcke Mehl, andere Hilfsgüter und der erkennbare Wunsch nach einer Eskalation, die sich medial aufbereiten lässt. Der Plan ging nur bedingt auf.
Am Montagabend stoppte das israelische Militär die Mission. In den sozialen Netzwerken spottete die Regierung über die «Selfie-Jacht» und betonte, alle Passagiere würden versorgt und sicher nach Hause gebracht. Hängen blieb vor allem ein Bild: das Foto der lächelnden Greta Thunberg, wie sie ein Sandwich aus den Händen ihrer erklärten Antagonisten entgegennimmt. Bald sass sie im Flugzeug Richtung Schweden.
Good morning to all our followers 🇮🇱☀️
In case you missed it:
🥪 The ‘selfie yacht’ is safely making its way to the shores of Israel. The passengers are safe and were provided with sandwiches and water, and are expected to return to their home countries.
🤏 The tiny amount of… pic.twitter.com/Gfn9I3ZI2l
— Israel ישראל (@Israel) June 9, 2025
Seit ihrem «Skolstrejk för klimatet» (Schulstreik fürs Klima) im Jahr 2018 ist die Schwedin das Gesicht der internationalen Klimabewegung. Ihre Proteste mobilisierten Hunderttausende junge Menschen, für mehr Klimaschutz auf die Strassen zu gehen; in Deutschland, der Schweiz, Grossbritannien und Frankreich bildeten sich Ableger von Fridays for Future, die wiederum ihre eigenen, oft weiblichen Galionsfiguren fanden. Doch seit längerem setzen sich Thunberg und ihre Mitstreiter weniger für erneuerbare Energien und mehr gegen den israelischen Staat ein.
Einige Beobachter zeigen sich über diesen Themenwechsel überrascht. Der Krieg in Nahost und das Ziel, die Treibhausemissionen zu senken, haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun.
Allerdings fiel Thunberg schon früher durch einseitige propalästinensische Parteinahme auf. Zu einer Kontroverse führte ein Foto, das Thunberg im Oktober 2023 teilte. Mit drei Mitstreiterinnen warb sie vermeintlich für Solidarität mit Gaza. Doch dass auf dem Bild auch eine Plüschkrake platziert war – ein antisemitisches Symbol für die angebliche jüdische Weltbeherrschung –, war sicher kein Zufall. Tatsächlich sorgte auch ihre Organisation, Fridays for Future, schon mehrere Male mit antiisraelischen Beiträgen für Aufsehen – von denen sie sich nach öffentlicher Kritik meist schnell distanzierte.
Thunberg ist indes nicht die Einzige, die sich nun verstärkt anderen politischen Konfliktfeldern zuwendet. Auch die polnisch-britische Aktivistin Ewa Jasiewicz – sie war mit an Bord der «Madleen» – kämpfte früher vor allem gegen fossile Energien und für einen «Systemwechsel», heute engagiert sie sich gegen das Leid der Menschen im Gazastreifen. Auch Klimaorganisationen wie die amerikanische «Climate Justice Alliance» erklären, «Free Palestine» sei eine Frage der «klimapolitischen Gerechtigkeit». Der «Genozid» solle nicht mit Steuergeldern unterstützt werden.
Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer ist gar zu einer Alles-Aktivistin geworden: Bald fährt sie in die Vereinigten Staaten, um die Amerikaner über Demokratie aufzuklären, bald protestiert sie im Abendkleid mit der Aufschrift «Donald & Elon & Alice & Friedrich?» gegen den CDU-Chef und jetzigen Bundeskanzler Merz. Zwar verurteilte Neubauer auch den Terror der Hamas – allerdings erst, nachdem Kritik an einem Foto Thunbergs mit antisemitischer Symbolik laut geworden war. Jüngst unterstützte sie die Gaza-Kampagne eines mutmasslich antisemitisch eingestellten Fotografen, «All Eyes on Rafah», und forderte die deutsche Bundesregierung auf, die Waffenlieferungen nach Israel einzustellen.
Namhafte Klimaaktivistinnen, die sich für das Existenzrecht des jüdischen Staates einsetzen, scheinen hingegen rar gesät. Auch die Solidaritätsbekundungen im klimabewegten Milieu nach dem 7. Oktober 2023 fielen eher spärlich aus. Das sorgsame Schweigen dürfte mehrere Gründe haben.
So wird Solidarität mit dem mehrheitlich von Feinden umzingelten Israel im linken Milieu, aus dem die Klimabewegung vornehmlich ihre Anhänger rekrutiert, als Provokation wahrgenommen. Spräche sich etwa eine Luisa Neubauer deutlich für das Existenzrecht Israels aus, wären Tausende empörter Nachrichten und die öffentliche Distanzierung ihres Umfelds nahezu gewiss.
Diese Erfahrung machte beispielsweise die amerikanische Ober-Influencerin Kylie Jenner – sie teilte am 7. Oktober auf Instagram ein Bild einer proisraelischen Organisation mit der Botschaft: «Jetzt und immer stehen wir an der Seite des Volkes Israel». Der Beitrag war innerhalb einer Stunde gelöscht. Zu heftig fiel die Kritik ihrer Follower aus. Im vergangenen Jahr kam es gar zu einer Online-Bewegung namens «Blockout». Diese forderte den Boykott gegen Prominente, die sich nicht gegen Israel positionierten.
Aktivistinnen wie Thunberg, Jasiewicz und Neubauer sind im besonderen Masse von der Gunst ihres Publikums in den sozialen Netzwerken abhängig. Ohne dessen Zuspruch sinkt nicht nur ihre moralische Autorität – ihr wichtigstes Kapital in klimapolitischen Fragen –, sondern auch ihr wirtschaftlicher Marktwert, der sich aus Likes, Sichtbarkeit und Reichweite speist. Dazu kommt, dass das Interesse am Klimawandel angesichts der internationalen Krisen stark abgenommen hat. Da bei diesem Thema spätestens seit der Corona-Krise mit weniger Aufmerksamkeit zu rechnen ist, mussten die Aktivisten neue Wege finden, um ihre Relevanz im öffentlichen Diskurs zu sichern.
Ein weiterer Erklärungsansatz für das Gaza-Engagement liegt in der postkolonialen Denkschule, der viele Klimaaktivisten nahestehen. Zu dieser gehört das Konzept der Intersektionalität, das die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Diskriminierungskategorien wie Rassismus, Sexismus und Klassismus in den Fokus stellt. Eine Person in einem Entwicklungsland kann beispielsweise wegen der Erderwärmung zum Klimaflüchtling werden und zugleich unter rassistischer Benachteiligung leiden.
In diesem Weltbild gelten weisse Israeli fast immer als Kolonialisten, während Palästinenser – ethnisch wie ökonomisch marginalisiert – per se als Opfer und Unterdrückte gelten. Dass die palästinensische Bevölkerung bei den letzten freien Parlamentswahlen mehrheitlich für die Terrororganisation Hamas abstimmte, wird in dieser Gleichung meist ausgespart.
Stünde ein fortschrittlicher Umgang mit dem Klimawandel im Vordergrund ihres Aktivismus, müssten sich Thunberg und Neubauer wohl oder übel an die Seite Israels stellen. In der Entwicklung grüner Technologien zählt es zu den weltweit führenden Nationen: energieeffiziente Entsalzungsanlagen, Tröpfchenbewässerung in der Landwirtschaft, Solarenergie oder pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte sind nur einige Beispiele dafür.
Doch dieser pragmatische Ansatz würde mit dem aktivistischen Weltbild kollidieren.
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