This article delves into the hidden meanings within Dmitri Shostakovich's Fifth Symphony, composed in response to official Soviet criticism. The author argues that the symphony, while seemingly a conformist work, cleverly incorporates subversive elements that critique the Soviet regime.
The key argument centers around the use of musical quotations and symbolic imagery within the symphony. A prominent example is the inclusion of a five-note motif from Shostakovich's banned Fourth Symphony, which also echoes Gustav Mahler's "Des Antonius von Padua Fischpredigt." This motif, graphically represented as a "nose" in the Fourth Symphony's score, is interpreted as a sarcastic gesture towards the Soviet authorities.
The article also highlights the inclusion of fragments from the "Internationale," further indicating a subversive message embedded within the supposedly compliant Fifth Symphony.
The article contextualizes Shostakovich's actions within the oppressive political climate of the Soviet Union under Stalin. His public submission was a survival strategy, allowing him to continue composing while concealing his dissent. The analysis reveals the composer's skill in creating a double layer of meaning: an outwardly conforming work that contained subtly rebellious messages.
The article concludes by emphasizing Shostakovich's use of musical camouflage and double layers to convey his message. The author suggests that Shostakovich's Fourth Symphony, with its explicit criticisms, should be considered a crucial precursor to understanding the complexities and hidden meanings embedded within his Fifth. By examining the subtle details, listeners can decipher Shostakovich's courageous act of resistance, skillfully masked beneath an apparent display of conformity.
Der hellsichtige Chronist des 20. Jahrhunderts hat in seiner Musik geheime Botschaften versteckt. Wie lebensgefährlich dieses subversive Spiel mit Tönen und Zitaten war, kommt erst heute ans Licht. Dabei hätte man bloss hinschauen müssen.
Mit dem Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben, legte Dmitri Schostakowitsch im Herbst 1937 seine 5. Sinfonie vor und konnte sie, deklariert als «schöpferische Antwort eines sowjetischen Künstlers auf berechtigte Kritik», am 20. Jahrestag der Oktoberrevolution im damaligen Leningrad zur Uraufführung bringen. Die offizielle Kritik reagierte enthusiastisch. Heinz Alfred Brockhaus überhöhte den Erfolg in seiner 1962 in Leipzig publizierten Schostakowitsch-Biografie zu einem Sieg über die Sinfonien der westeuropäischen Welt.
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Vorausgegangen war im Januar 1936 der von Stalin veranlasste Totalverriss von Schostakowitschs zweiter Oper, «Lady Macbeth von Mzensk», im Parteiorgan «Prawda» und deren Verbannung von den Bühnen. Der bis anhin erfolgreiche Komponist – er war 30 Jahre alt und hatte seine erste Oper, «Die Nase» nach Gogol, drei Sinfonien und einige Film- und Bühnenmusiken geschrieben – fand sich sozusagen über Nacht als «Volksfeind» angeprangert. Nach einem «Wink von oben» zog er seine 4. Sinfonie kurz vor der Uraufführung zurück. Nicht ohne Grund: In ihrer Machart war sie noch weit progressiver als seine Zweite und Dritte und hätte im «sozialistischen Realismus» gewiss Anstoss erregt. Dies hätte ihm auch persönlich gefährlich werden können.
Da Schostakowitsch aber leben und weiterhin komponieren wollte – und dies nicht zuletzt wegen seiner Familie auch musste –, war klar, dass er kaum um einen öffentlichen Bussgang herumkommen würde: um das Eingeständnis also, wonach er mit der «Lady Macbeth» die Vorgaben der Partei nicht erfüllt habe. Die Forderung nach einer «schöpferische(n) Antwort» auf «berechtigte Kritik», die ihm vermutlich ebenfalls von höherer Warte nahegelegt wurde, hat er dann freilich in der 5. Sinfonie auf sehr eigene Weise erfüllt.
Was treffen wir in dieser kreativen Antwort an? Vorerst einmal vier formal eher traditionell aufgebaute Sinfoniesätze mit einer fast schon demonstrativ ausgestellten «per aspera ad astra»-Dramaturgie, also der seit Beethoven klassischen «Durch Nacht zum Licht»-Botschaft. Wenn wir allerdings genauer hinhören, muss uns gleich zu Beginn des ersten Satzes der Fünften eine arios absteigende Tonfolge in den Geigen auffallen. Sie stammt aus dem zweiten Satz der damals in die Schublade verbannten 4. Sinfonie.
Und diese fünf Töne bergen noch mehr Zündstoff: Sie entsprechen genau den fünf Kerntönen zu der Textzeile «Er geht (zu den) Flüs(sen) (und) pre(digt) den (Fischen)» aus Gustav Mahlers Lied «Des Antonius von Padua Fischpredigt». Mahler selbst hatte dieses Lied zur Grundlage des Perpetuum-mobile-Scherzos seiner Zweiten, der «Auferstehungssinfonie», gemacht. Auf Mahlers charakteristische Instrumentation nehmen bei Schostakowitsch wiederum die dem Zitat unmittelbar vorangehenden Paukenschläge und Klarinettentriller Bezug.
In Schostakowitschs 5. Sinfonie taucht das «Fischpredigt»-Motiv im ersten und dritten Satz wiederholt in Abwandlungen auf; es gehört zum thematischen Material dieser «schöpferischen Antwort». Was aber erreicht Antonius mit seiner Predigt? Nichts! Denn die Fische haben die Predigt sogleich wieder vergessen und fressen wie bisher: «Die Predigt hat g’fallen, sie bleiben wie Allen», lautet die Quintessenz des Textes aus «Des Knaben Wunderhorn».
Um die ganze Tragweite dieser Übernahme zu erkennen, muss man nochmals die Vierte konsultieren. Der eigentliche Sinn des «Fischpredigt»-Zitats ergibt sich bei Ziffer 143 der gedruckten Partitur, allerdings nicht aus dem Klang, vielmehr besitzt hier das Notenbild selbst grafische Aussagekraft: Dieses in und mit Noten gezeichnete Abbild einer nach links weisenden «Nase» muss vom Komponisten bewusst angestrebt worden sein. Es ist nämlich kompositorisch anderweitig nicht ersichtlich, warum die Holzbläser hier derart kompliziert – jeweils um eine Sechzehntel verschoben – einsetzen sollen.
Ebenso bedeutsam sind die fünf Töne, welche die Hörner direkt im Anschluss spielen, grafisch also unterhalb der Noten-«Nase» und damit nicht zufällig in der Gegend des «Mundes»: Es sind die fünf Töne unseres «Fischpredigt»-Motivs! Im weiteren Verlauf bis zum Ende des Satzes kann man sechs weitere, teilweise höhnisch klingende Grandioso-Varianten dieses Motivs hören, bevor der Satz in monotones Schlagzeug-Geklapper ausleiert. Offenkundig ist die Predigt zu klappernden Worthülsen verkommen.
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Worauf aber verweist diese «lange Nase»? Höchstwahrscheinlich zurück auf die «Internationale», die bereits im ersten Satz der Vierten zitiert wird, aber sehr gut versteckt ist. Auf dieses verblüffende Zitat bin ich selbst erst durch die NZZ-Kritik eines Konzerts des Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons am Lucerne Festival gestossen (NZZ vom 15. 9. 2018). Christian Wildhagen erwähnte in der Besprechung die vorzügliche Solotrompete, die «mitten hinein ins Getümmel die ersten Töne der ‹Internationale› schmettert, sich aber schon nach dem ‹Völker, hört die . . .› grotesk verschluckt». Meine Suche nach diesem beredten Einsprengsel in der Partitur hat dann ergeben, dass Schostakowitsch sogar alle siebzehn Silben von «Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!» in die Musik eingebaut hat.
Die «lange Nase» und das «Fischpredigt»-Motiv enthüllen damit ihre volle Bedeutung – und die todesmutige Unverfrorenheit, mit der Schostakowitsch seine Fünfte als schöpferische Reaktion auf «berechtigte» Kritik ausgegeben hat: Die Parteidoktrin, die sein früheres Werk zum Schweigen verdammt, wird als vollends unnütz hingestellt. Sie perlt an den Menschen ab wie «Wasser von den Federn einer Gans» (wie es Schostakowitsch in einem Brief an den Musikwissenschafter Iwan Sollertinski vom 16. August 1930 formulierte). Man kann von Glück sagen, dass damals niemand diese subversive Botschaft entschlüsseln konnte – auch deshalb, weil die 4. Sinfonie erst 1961 zur verspäteten Uraufführung kam.
Schostakowitsch hat vermutlich noch zahlreiche ähnliche Botschaften in derartiger Weise in seinen Noten versteckt. Zur schöpferischen Camouflage seiner «Antwort» in der 5. Sinfonie gehört beispielsweise ein weiteres Zitat, das diesmal der ersten seiner «Vier Romanzen» op. 46 auf Verse von Alexander Puschkin entnommen ist, die er kurz zuvor komponiert hatte. Es ist im Finalsatz der Fünften vor der Reprise eingeschoben. In diesem Lied «Wiedergeburt» ist von einem Gemälde die Rede, das von einem Dilettanten übermalt worden ist; die neue Farbe beginnt abzublättern und gibt das alte Bild wieder frei.
Schostakowitsch zitiert die letzte Zeile: «Und neu ersteht in meinem Herzen der Jugend reine Herrlichkeit». Diese Hoffnung ist die Quintessenz seiner schöpferischen Antwort. Er muss sich verstellen, um überleben zu können, er muss sein Komponieren kaschieren und seine Gedanken verstecken, er muss doppelte Böden schaffen – wie jenen der «Fischpredigt»-Anspielung unter dem Deckmantel einer einfachen Fünf-Ton-Folge. Später, wenn diese schrecklichen Zeiten überwunden sind, wird man erkennen, was er vermitteln wollte.
Mit der 4. Sinfonie waren ab 1936 auch die kompositorischen Errungenschaften seiner frühen Schaffensphase, die dem Futurismus und der Avantgarde nahestand, auf unabsehbare Zeit in der Versenkung verschwunden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn Schostakowitsch einige progressive Elemente aus der Vierten später in seiner 8. Sinfonie von 1943 aufnimmt. Etwa die brutalen Schlagzeug-Überfälle; oder die auffälligen Crescendo-Passagen, die aus abgerissenen Akkorden wie Mauern aufgebaut werden; oder, noch irritierender, die unausstehlich lang durchgehaltenen Partien in sturem Gleichschritt. So rattert der dritte Satz der Achten beispielsweise fünfhundert Vierer-Takte lang wie Maschinenlärm dahin, von dumpfen Schlägen begleitet, von quälend-schrillen und abrupt abgerissenen Akkorden überdröhnt und von einer frech hereinplatzenden Trompete konterkariert. Stehen diese brutalen Abschnitte etwa für die Sturheit des Beamtenapparats? Oder für die Verfolgung von Flüchtenden?
Das würde die schrillen Pfiffe erklären und das Auslaufen des Pferdegetrappels mit dem anschliessenden Piccolo-Gezwitscher und dem Walzerchen, wenn die Polizei-Razzia vorüber ist und der Einzelmensch wieder mal einigermassen ungeschoren davongekommen ist. Wenn schrille Akzente als Schreie in Todesangst empfunden werden, sollen wir uns dann dagegen wehren und uns auf die konventionelle Musikanalyse zurückziehen?
Schostakowitsch selber hat sich bei seiner 4. Sinfonie immer wieder in Selbstkritik geübt und – wie so oft in den eigenen Analysen – gefügig ein Scheitern an den eigenen grossen Zielen eingestanden: «Misslungen war auch meine ‹Vierte Sinfonie›. Das Werk ist sehr unvollkommen in der Formung gewesen, zerfliessend, und, möchte ich sagen, es leidet an der ‹Manie des Grandiosen›. Dennoch – auch an dieser Partitur gefällt mir einiges.» Einige Zeilen weiter legt er dann in den von Solomon Wolkow aufgezeichneten «Memoiren» ein für uns heute ironisch klingendes Geständnis ab: «Der gesellschaftlichen Tätigkeit widme ich bewusst mein ganzes Leben. Und sicherlich werde ich das nie lassen. So ist eben mein gesellschaftliches Temperament – wenn man das so ausdrücken darf.»
Ob er dabei auch an die «Internationale» und an die «Fischpredigt» des Antonius von Padua gedacht hat? Damit liesse sich vielleicht erklären, warum Schostakowitsch seinem Freund, dem Cellisten und Dirigenten Mstislaw Rostropowitsch, eine Bitte auf den Weg mitgab, als dieser ihm vor der Ausreise in den Westen (1974) versprach, alle seine Sinfonien im Ausland aufzuführen. Schostakowitschs Wunsch an Rostropowitsch lautete: «Beginne mit der Vierten!»
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Jakob Knaus ist Musikwissenschafter und ehemaliger Redaktor von Radio SRF 2 Kultur. Er forscht seit langem unter anderem zur geheimen Programmatik in der Musik von Dmitri Schostakowitsch.
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