Der Westen hat seine Kräfte überspannt - er muss sich neu aufstellen


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Key Arguments

The article argues that the West, particularly under the influence of globalization and multi-culturalism, overextended its power, leading to internal divisions and a weakening global position. It criticizes the 'globalist' approach as naive and idealistic, neglecting local interests and fostering resentment.

Critique of Globalism

The author criticizes the 'open society' ideal for failing to consider antithetical views, leading to a polarization between globalists and protectionists. This is exemplified by the conflict between those fearing climate change/Nazism and those fearing migration/cultural dissolution.

The Role of Religion and Identity

The article posits that a secular 'globalist ethic' has replaced religious faith for many, resulting in a lack of concrete engagement with local needs. This lack of focus on the immediate community is coupled with an overemphasis on the identity politics of minorities, neglecting the concerns of the majority.

The Rise of Nationalism and Protectionism

The author sees Donald Trump's rise and return as a consequence of the West's overreach and the subsequent need for national self-preservation. This involves focusing on domestic interests and security, limiting military interventions, and controlling illegal immigration.

A Multipolar World Order

The article suggests that a multipolar world order is emerging, challenging the West's hegemony. This involves cooperation with diverse nations, including authoritarian ones, in order to counter totalitarianism (such as Islamism), even as it acknowledges the risks of extreme nationalism.

The Need for Balance

The concluding point emphasizes the need for a balance between global engagement and national interests. This necessitates a reconsideration of traditional political positions and the development of sustainable solutions, including valuing local communities and preserving cultural heritage while engaging with technological advancements. The author advocates for a renewed focus on subsidiarity, prioritizing smaller units of governance before global concerns.

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Der Westen hat sich mit der Durchsetzung einer regelbasierten Weltordnung stark verausgabt – er muss sich neu aufstellen

Mit Donald Trumps Rückkehr ins Weisse Haus kommt die globalisierte Weltordnung noch stärker ins Rutschen. Der Westen erkennt mehr und mehr, dass er seine Kräfte überspannt hat. Der Idealismus hält der Wirklichkeit nicht stand, not tut eine Besinnung auf das Eigene.

In Washington erinnert ein Denkmal an das siegreiche Hissen der US-Flagge auf Jima in der Endphase des Pazifikkriegs gegen Japan am 23. Februar 1945. Jon Hicks / Getty

In der Haltung grenzenloser «Weltoffenheit» liegt der Kern einer neuen Weltanschauung. Der Weg vom globalen Denken zum lokalen Ruin aber war oft nur kurz, und so hat die Ideologie des Multikulturalismus nahezu in der gesamten Welt Widerstand hervorgerufen und revisionistische politische Kräfte an die Macht gebracht. Deren gemeinsamer Nenner ist der Schutz eigener Interessen.

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Die Spaltung der westlichen Gesellschaften in Globalisten und Protektionisten hat einen Punkt erreicht, an dem die wechselseitige Ablehnung und die Verneinung der Ängste des anderen in Hass und Gewalt umschlagen. Während die einen Klima-Tod und Nazismus heraufkommen sehen, fürchten andere migrantische Invasion und Selbstauflösung der eigenen Kultur. Die eine Form der Sorge scheint die andere zu löschen. Die Polaritäten verfestigen sich, denn der, der meine Angst verleugnet, kann Freund oder Kollege nicht sein. Mit seiner vermeintlichen oder tatsächlichen Ignoranz ist er Teil des drohenden Verhängnisses.

Erste Generation ohne Gott

Nicht nur Feindschaft verstellt den Ausblick auf dritte Wege, sondern auch die Einseitigkeit der Wahrnehmungen. Die «offene Gesellschaft» (Karl Popper) zerbricht über dem Ansturm des Gesinnungsfurors. Mauern, oft nur schon zum Schutz vor wirtschaftlichen Konkurrenten hochgezogen, schützen auch vor inhaltlichen Alternativen und Antithesen. In jedem Fall lähmen sie das dialektische Denken. Die eigenen Ideen drohen sich ohne Ergänzung und Einrede zu verabsolutieren. Das Böse, das jeder Christ zunächst in sich selbst zu bekämpfen aufgefordert ist, wird ausgelagert auf Andersdenkende, vorzugsweise auf der politischen «Rechten».

Der ersten Generation ohne nennenswerte religiöse Rückbindung dient die globalistische Ethik des Regenbogens als Religionsersatz. Die Fernstenliebe entlastet zugleich den woke bewegten Einzelnen von konkretem Engagement gegenüber dem Nächsten, was den kosmopolitischen Eiferern indes ziemlich egal zu sein scheint. Die eigene Wohlfühlgesinnung erhebt einen moralisch so weit über andere, dass man sich nicht einmal zum Gespräch mit ihnen herabbeugen muss. Ohne Hierarchie des Guten, wie sie das Subsidiaritätsprinzip der christlichen Soziallehre postuliert, endet grenzenloser Idealismus in Naivität gegenüber dem Fernen und in Verachtung des Nächsten.

Die Entweder-oder-Spaltung zwischen links und rechts führt an den realen Problemen vorbei.

Was mögen Armutsrentner oder Obdachlose angesichts üppiger staatlicher Leistungen selbst für illegal eingereiste Migranten denken? Besser, man fragt nicht und redet nicht darüber. Wo es früher um die Nöte sozial Benachteiligter oder gesellschaftlich Deklassierter ging, fokussiert die Aufmerksamkeit heute auf die Identitätsprobleme mitunter kleinster Minderheiten.

Muslimen wird generell die Rolle eines Ersatzproletariats zugewiesen, was selbst Gewaltakte entschuldigt. Wer es gleichwohl noch wagt, die Frage nach den Interessen der eigenen Gesellschaft und Nation aufzuwerfen, wird aus dem Diskurs verdrängt. Der freiwillige Zusammenschluss einzelner Nationalstaaten in der Europäischen Union gilt als Probelauf für globale Entitäten. Es ist dies eine Überforderung, die beide in ihrer Existenz bedroht.

Im Zeichen aufklärerischer Gerechtigkeit wurde sowohl die Gleichheit der Kulturen als auch die Universalität westlicher Werte propagiert. Aus diesem Allmachtsanspruch heraus erklärt sich die latente Abscheu oder gar vehemente Ablehnung fremder Kulturen, welche dieses progressive weltanschauliche Konzept nicht teilen.

Gemäss der dialektischen Sicht der Geschichte war es nur eine Frage der Zeit, bis eine These sich in Widersprüche verstrickt und eine Antithese erzeugt. Der Fokus zurück auf das Eigene bedeutet zunächst einmal die Rückkehr zu einer Normalität, die de facto konservativ ist, aber mit moralischen Argumenten als «rechts» diskreditiert wurde. Diese «Rechte» besteht aus sehr unterschiedlichen Kräften. Es handelt sich um heterogene Bewegungen, die sich jedoch alle der drohenden kulturellen Selbstauflösung durch kulturelle Selbstbehauptung erwehren wollen. Es sind Local Player, die sich den Global Players entgegenstellen.

Donald Trump etwa verdankt seinen Aufstieg und sein Comeback dem Sinn für Grenzen, die für niemanden notwendiger sind als für die «kleinen Leute», die dem weltweiten Wettbewerb nicht standhalten können. Das immer auch idealistisch begründete Hegemoniestreben hatte die USA nach dem 11. September 2001 bis in den Hindukusch vorrücken lassen. Trump dagegen folgt einer Strategie der Selbstbehauptung, in der nicht globale Anliegen verfolgt, sondern die eigenen Interessen durchgesetzt werden. Je mehr sich der Westen aus ihm kulturell fremden Weltregionen heraushält, desto mehr Mittel stehen ihm für die Sicherheit daheim bereit. Solches bedeutet nicht allein das Ende von abseitigen militärischen Interventionen, sondern auch das Ende von offenen Grenzen für illegale Migration.

Trump verlangt keinen hegemonialen, aber einen starken Platz der USA in einer multipolaren Weltordnung. Darin ist die Unterscheidung nach Autoritarismus und Totalitarismus von grösster Bedeutung. Denn der totalitäre Islamismus ist weder für demokratische Systeme noch für autoritäre Regime akzeptabel, woraus sich auch neue Konstellationen einer Zusammenarbeit ergeben.

Netzwerke und Knoten

Freilich können auch Bewahrer des Eigenen sich in Extreme wie krankhaften Isolationismus und übersteigerten Nationalismus verrennen. Gleichwohl braucht es dritte Wege jenseits von oder zwischen Fern- und Nah-Interessen und letztlich einen Ausgleich zwischen Offenheit und Eigensinn. Die Entweder-oder-Spaltung zwischen links und rechts führt an den realen Problemen vorbei. Die Sicherung des liberalen Rechts- und Sozialstaates etwa liegt sowohl im liberalen als auch im linken und im rechten Interesse. Progressive Positionen links der Mitte gelten als normal, aber auch konservative Ideen rechts der Mitte stellen im Konzert der Theorien eine unentbehrliche Ergänzung dar.

Dialektisches spielt sich derzeit auch im Nahen Osten ab. Krönende Entwicklung wäre ein Kategorienwechsel vom Kampf der Kulturen zum Kampf für die Zivilisation. Einige Staaten der arabischen Welt interessieren sich schon mehr für einen Entwicklungsfrieden mit Israel als für eine Fortsetzung des unter dem Deckmantel eines befreiten «Palästina» geführten Religionskrieges. In den Abraham Accords deutete sich eine nahöstliche Realität an, in der es um Fortschritt und Entwicklung geht, die sich in Wohlstand und Bildung für die Massen niederschlagen sollen.

In der multipolaren Welt relativiert sich auch der weiter fortbestehende Gegensatz von Demokratie und Diktatur. Im Staatenbündnis «Brics plus» spielen die Systemunterschiede der Mitgliedsländer kaum eine Rolle. Während es Russland, China und Südafrika um die geopolitische Abwehr des westlichen Hegemonieanspruches geht, lassen es andere Mitglieder bei der wirtschaftlichen Vernetzung mit Gleichrangigen bewenden.

Ob seiner auf das nationale Interesse ausgerichteten Politik gilt Ungarn als das schwarze Schaf Europas. Seit Trumps Amtsantritt weht den Staaten Westeuropas der Wind des Wandels aus den USA wie auch aus Mitteleuropa ins Gesicht. Von Polen über die Slowakei bis Rumänien gilt der Schutz des kollektiven Eigeninteresses heute mehr als globale oder radikal individualistische Visionen. Die Schutzmauer innerhalb der Europäischen Union gegenüber Viktor Orban dürfte ins Wanken geraten, nur schon weil er allerbeste Beziehungen zu Trump unterhält.

Neugier und Offenheit gegenüber digitalen Entwicklungen wie der künstlichen Intelligenz sind durchaus gefragt, doch bedürfen sie als humanes Gegengewicht unbedingt der Wertschätzung der kulturellen und geistigen Schätze der Vergangenheit. Im Fundus des alten Wissens und versunkener Weisheit dürften sich viele Schätze finden, die für die Zukunft mobilisiert werden können.

Die christliche Ordnung der Nächstenliebe («ordo amoris») – vom amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance in die Debatte geworfen – thematisiert die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit zuerst kleineren Einheiten von der Familie bis zum eigenen Staat zuzuwenden und erst danach den Blick auf die ganze Welt zu werfen. Es ist gerade die Globalität von Wissenschaft, Technik und Ökonomie, welche zum Ausgleich subsidiäre politische Instanzen erfordert. Global gespannte Netzwerke sind nur so gut, wie ihre Knotenpunkte – in Gestalt von funktionierenden Nationalstaaten – die Maschen zusammenzuhalten vermögen.

Heinz Theisen war bis 2020 Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule NRW in Köln. Zuletzt erschien von ihm 2024 (mit Chaim Noll): «Verteidigung der Zivilisation. Israel und Europa in der islamistischen Bedrohung».

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