Der französische Snapchat-Influencer Nasdas hat Millionen damit verdient, das Elend in seinem Quartier zur Schau zu stellen. Jetzt will er aufhören. Die Politik hat begonnen, sein Geschäftsmodell zu hinterfragen.
Es ist noch nicht lange her, da griff die Polizei regelmässig minderjährige Fans des Influencers Nasdas in den Strassen von Perpignan auf. Die Jugendlichen waren von zu Hause ausgerissen und allein von Paris, Lille oder Marseille aus in die katalanische Stadt nahe der spanischen Grenze gepilgert. Sogar 12-Jährige hatten sich schon auf den Weg gemacht, um ihr Idol zu treffen.
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Die Jungen und Mädchen, klagte der Polizeichef von Perpignan im März, schliefen im Freien, auf Parkbänken oder in Hauseingängen, schnorrten sich Essen von Fremden und irrten orientierungslos durch das Quartier von Saint-Jacques, wo Nasdas seine Videos drehe. Aber für die wenigsten von ihnen sollte sich die Hoffnung auf eine Begegnung mit dem Social-Media-Star erfüllen.
Nasdas ist Frankreichs meistgefolgter Snapchat-Influencer. Mehr als 9,2 Millionen Follower hat der 29-Jährige auf der Social-Media-Plattform gesammelt, die vor allem bei jungen Leuten extrem beliebt ist. 3,5 Millionen folgen ihm darüber hinaus auf Tiktok, 2,1 Millionen auf Instagram, 1,1 Millionen auf der Livestreaming-Plattform Twitch.
Sein Konzept funktioniert wie Trash-TV: Nasdas, der mit bürgerlichem Namen Nasser Sari heisst, filmt Bewohner aus dem Problemquartier Saint-Jacques, in dem er selbst aufgewachsen ist. Dabei zeigt der Franko-Algerier unbegleitete Minderjährige, Obdachlose, Ex-Prostituierte und allerlei skurrile Typen in ihrem Alltag – und macht daraus eine Mischung aus Sozialreportage, Drama und digitalem Spektakel. «La Chienneté» heisst die Show. Das lässt sich im Strassenjargon mit «Hundeleben» übersetzen.
Weil Nasdas gerne mit einer Herrenhandtasche, im knallroten Trainingsanzug oder mit weiten Sport-Shirts durch sein Viertel spaziert und gönnerhaft 100-Euro-Scheine verteilt, nennen ihn die Medien auch den «digitalen Robin Hood». Immer wieder bezahlt er spontan die Einkäufe von Bedürftigen, verlost teure Markenartikel und teilt gelegentlich sogar seine Kreditkartendaten mit seinen Followern. Doch es gibt auch hässliche Szenen: Wie ein fettleibiger Junge verspottet und eine Frau sexistisch beleidigt wird oder ein Mann seiner Freundin ein Handy ins Gesicht schleudert und Nasdas einfach weiterfilmt.
Er verdiene dank Plattformgebühren und Produktplatzierungen zwischen 6000 und 36 000 Euro am Tag, erklärte Nasdas gegenüber den Medien. Kein Wunder, pilgern Jugendliche aus ganz Frankreich nach Perpignan, um etwas vom Geldregen abzubekommen oder sogar Teil des exklusiven «Team Nasdas» zu werden. Die Clique aus Mitstreitern und Dauergästen seiner Show lebte noch bis vor einigen Tagen in einer Villa mit Pool und permanent laufenden Kameras.
Am 8. Juni gab Nasdas jedoch bekannt, sich aus allen sozialen Netzwerken zurückzuziehen. Er fühle sich erschöpft, sagte er; der Kult rund um seine Person belaste ihn, und überhaupt wolle er sich jetzt mehr um seine Familie kümmern. Dass er wegen seiner zynischen und ethisch fragwürdigen Inhalte ins Visier der Politik geraten war, erwähnte Nasser Sari nicht.
Zwei Tage später trat der Influencer vor einen Untersuchungsausschuss in der Assemblée nationale. Die Abgeordneten hatten Nasdas als eine von fünf «problematischen» Social-Media-Persönlichkeiten ausgemacht und zu einer Anhörung nach Paris geladen. Mehr als 30 000 Franzosen hatten zuvor in einer Bürgerbefragung angegeben, welche Influencer sie als «verstörend» empfinden, und besonders oft war dabei der Name Nasdas genannt worden.
Der Untersuchungsausschuss sollte sich mit den psychologischen Auswirkungen von Tiktok, Instagram und anderen Social-Media-Apps für Minderjährige befassen. Frankreich plant schon seit langem, strengere Alterskontrollen für die sozialen Netzwerke einzuführen. Bis Jahresende, findet der französische Präsident Emmanuel Macron, soll Jugendlichen unter 15 Jahren generell der Zugriff auf die Plattformen verboten werden, wenn die EU hier nicht tätig werde.
Das Thema kocht in Frankreich zuverlässig hoch, vor allem dann, wenn einmal mehr die Gewalt in einer Schule eskaliert. Erst Anfang Juni hatte ein mutmasslich psychisch gestörter 14-jähriger Schüler in einer Kleinstadt in Ostfrankreich eine Lehrerin mit einem Messer getötet. Macron sprach danach von einer «Welle der Gewalt», die durch soziale Netzwerke zusätzlich befeuert werde.
Man wolle aber niemanden an den Pranger stellen, beeilte sich der Ausschussvorsitzende Arthur Delaporte die Influencer im Vorfeld der Anhörung zu beruhigen. Niemand werde für sein Wirken «bestraft». Es gehe nur darum, zu klären, so Delaporte, ob sich jene, die online täglich Millionen erreichten, überhaupt der Verantwortung bewusst seien, die mit ihrer Reichweite einhergehe.
Neben Nasdas hatte die Nationalversammlung den sogenannten «Männerrechts-Influencer» Isac Mayembo alias Alex Hitchens vorgeladen, der auf seinem Youtube-Kanal Ratschläge erteilt, wie Männer die «Kontrolle über Frauen» gewinnen und sich als «echte Alphas» behaupten können. Auch Adrin Laurent alias AD Laurent, ein ehemaliger Pornodarsteller, wurde wegen seiner frauenfeindlichen Äusserungen auf Tiktok befragt.
Aus Dubai wurden Manon und Julien Tanti per Video zugeschaltet. Das Luxus-Pärchen ist berüchtigt dafür, ihre kleinen Kinder gezielt für Werbung und Reichweite einzusetzen. Auch ihre Namen fielen in der Bürgerbefragung. Manon Tanti wies den Vorwurf, sie sei eine «problematische Influencerin», empört zurück. Man verdiene auf legale Art und Weise Geld.
Auch Nasdas gab sich überrascht, überhaupt ins Parlament eingeladen worden zu sein. Die Kritik, die Armut anderer medienwirksam auszuschlachten, Minderjährige zu gefährden und rechtliche Grauzonen bei Werbung und Datenschutz auszunutzen, prallte während der Anhörung am «digitalen Robin Hood» ab. Dann fragte ihn der Sozialist Delaporte nach seinen Einkünften. Nasdas sagte: «Ich verdiene wohl mehrere Hunderttausende Euro im Monat – und Sie?» «Etwa 5000 Euro nach Steuern», antwortete der Abgeordnete. Viel deutlicher hätte der Kontrast zwischen den Welten nicht ausfallen können.
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