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Reichsbürgertreffen in Traunstein: „Wir leben in einer Simulation“ - Wie gefährlich ist die Szene?

Stand: 02.04.2025, 17:09 Uhr

Von: Katrin Langenwalter

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Reichsbürger: harmlose Spinner oder gefährliche Staatsfeinde? Auch bei uns in der Region aktiv, wie zum Beispiel letztes Jahr Alexander W. aus Altötting (links), der bei der Großkundgebung in München spricht. Die Szene hat auch eine große Affinität zu Waffen. © Collage: Links: J.Müller, Rechts: picture alliance/dpa/Polizeipräsidium Nordhessen

Der rechte Traum vom Kaiserreich - auch in unserer Region? Ein Treffen der Reichsbürgerszene in Traunstein (22. März) bleibt nicht unbemerkt. Auf sozialen Netzwerken wird eine Einladung publik, die auch chiemgau24.de vorliegt. Polizei und Gegendemonstranten versammeln sich in der Schützenstraße vor dem Veranstaltungslokal. Wer sind diese Reichsbürger: Spinner oder gewaltbereite Staatsfeinde?

Traunstein – „Bayern ist eine Hochburg der Szene“, sagt Florian Rieder von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Und Reichsbürger drängen mit ihren Ideologien immer mehr in die Öffentlichkeit. Noch vor einigen Jahren belächelt wächst die Szene seit der Corona-Pandemie stetig an und wird immer anschlussfähiger.

Reichsbürgertreffen in Traunstein

In Traunstein findet am 22. März ein Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Beworben wird die Veranstaltung in sozialen Netzwerken wie Telegram, eine Voranmeldung, so die Organisatoren, sei obligatorisch. Chiemgau24.de liegt die Einladung vor, in der ein Gastredner unter dem Aliasnamen Niklas Heimatliebe angekündigt wird:

Am 22. März versammelten sich einige Personen, um gegen das Treffen der Reichsbürger in einem Wirtshaus in der Schützenstraße in Traunstein zu protestieren. Auf dem Banner: Alle zusammen gegen den Faschismus. © privat

„Das Deutsche Kaiserreich ist niemals untergegangen“

„Wir alle leben - seit unserer Geburt - in einer Simulation“ ist dem Text der Einladung zu entnehmen. Einige Zeilen später wird deutlich, welches Gedankenkonstrukt der Redner des Abends seinem Publikum vermitteln möchte „Niklas erklärt eindrucksvoll und für jeden Menschen verständlich, warum das Deutsche Kaiserreich niemals untergegangen ist.“ Klingt absurd? Es ist aber eine der Kernthesen der sogenannten Reichsbürger oder Selbstverwalter.

„Reichsbürger ist nicht gleich Reichsbürger“

„Die Reichsbürger glauben wirklich, dass Deutschland besetzt ist.“ Eine klare Definition der Bewegung, so Florian Rieder weiter, sei allerdings aufgrund der Heterogenität der Szene schwierig. „Reichsbürger ist nicht gleich Reichsbürger.“ Sie würden nicht immer ein geschlossenes rechtes Weltbild vertreten, seien bisweilen sogar zerstritten. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt das Weltbild der Hauptströmungen: Einige Reichsbürger seien überzeugt, Deutschland befinde sich noch im Krieg, weil nach dem Zweiten Weltkrieg kein Friedensvertrag abgeschlossen worden sei.

Deutschland - nur eine GmbH?

Andere behaupten, die Bundesrepublik sei nicht einfach nur ein Besatzungskonstrukt geheimer Mächte hinter den Alliierten, sondern darüber hinaus eine Firma – die BRD GmbH. Ein Teil der Szene ziehe daraus den Schluss, dass das Deutsche Reich der letzte legitime Staat gewesen sei und dessen Handlungsfähigkeit müsse wiederhergestellt werden. Andere propagierten, aus der Bundesrepublik ausgetreten zu sein, würden sogar ihren eigenen Staat ausrufen.

Völkischer Nationalismus und Antisemitismus

„Schnittmenge ist auf jeden Fall der Geschichts- und der Gebietsrevisionismus.“ Auch der Antisemitismus sei sehr weit verbreitet, so Rieder. Dazu kämen ein gewisser Rassismus und völkischer Nationalismus. Wohl bekannteste Gruppe ist das sogenannte Königreich Deutschland, gegründet von Peter Fitzek in Wittenberg, der sich als König seines Fantasiestaates ausruft. Laut bayerischem Verfassungsschutzbericht von 2023 stehen weitere Gruppen wie der Vaterländische Hilfsdienst oder die Germaniten unter Beobachtung.

Polizeiausbilder in Ainring wird gefeuert

Im Landkreis Traunstein gründet sich 2015 die Gruppe ‚Heimatgemeinde Chiemgau‘. Auf einer Veranstaltung der Gruppe spricht Harald Schreyer, Polizeiausbilder in Ainring. Chiemgau24.de berichtet 2016 von der Veranstaltung, nennt Schreyer als Redner. In weiterer Folge wird der erste Polizeihauptkommissar entlassen. Der tödliche Angriff auf einen Polizisten im fränkischen Georgensgmünd im Oktober 2016 rückt die Reichsbürgerszene dann bundesweit in den Fokus. Bei einer Hausdurchsuchung schießt der damals 50-Jährige bewusst mehrfach auf den Beamten, er stirbt tags darauf an seinen Verletzungen.

Damaliger Polizeiausbilder in der Polizeischule Ainring: Harald Schreyer spricht vor der Gruppe Heimatgemeinde Chiemgau und verliert im Zuge dessen seine Anstellung. © XE

Gruppe um Prinz Reuß: Mitglieder auch aus Bayern

„Das Phänomen Reichsbürger wurde lange Zeit nicht ernst genommen.“ Man habe sie als harmlose Spinner abgetan, so Florian Rieder. Durch den Polizistenmord in Georgensgmünd seien die Behörden aufgewacht und hätten die Szene seither im Blick.“ Für Schlagzeilen sorgte auch die Verhaftung von Heinrich XIII. Prinz Reuß und 24 weitere Personen im Jahr 2022. Ihnen wird vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant zu haben. Unter den Angeklagten: Maximilian Eder, ein deutscher Rechtsextremist, Verschwörungsideologe und ehemaliger Oberst der Bundeswehr aus Niederbayern.

Anzahl bekannter Reichsbürger im Süden Bayerns besonders hoch

Im Dezember 2023 zählen die Behörden in Bayern insgesamt 5406 Menschen zum Reichsbürgerspektrum, bei 24 davon wüsste man von einem Waffenbesitz. In den Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Süd, zu dem auch der Landkreis Traunstein zählt, fallen die meisten registrierten Reichsbürger mit 842 bekannten Fällen. Dabei handelt es sich laut Polizei um bekannte und tatsächlich identifizierte Reichsbürger, die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Erschreckend auch, die gesteigerte Gewaltbereitschaft:

Die Entwicklung extremistisch motivierter Straftaten in Bayern zwischen 2019 und 2023. Braun-kariert dargestellt die Reichsbürgerszene. Im Jahr 2022 zum Beispiel gehen weit über zwei Drittel all dieser Taten auf ihr Konto. © Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus

Szene wächst um 38 Prozent an

Vergleicht man die Zahlen des Bayerischen Staatsministeriums zu Entwicklung extremistisch motivierter Gewalttaten in Bayern seit 2019, sticht die hohe Zahl, die von Anhängern der Reichsbürgerszene begannen wurden, hervor. Im Jahr 2022 zum Beispiel gehen weit über zwei Drittel all dieser Taten auf ihr Konto. Generell ist zu beobachten, dass die Szene wächst, laut Verfassungsschutz um knappe 38 Prozent seit 2019. Könnten die Coronamaßnahmen und ihr Protest eine Rolle spielen?

Reichsbürger suchen immer mehr die Öffentlichkeit

„In der Zeit sind auf jeden Fall Grenzen nach Rechtsaußen gefallen und demokratiefeindliche Tendenzen wurden sichtbar. Die Reichsbürger-Szene konnte deutlich von den Protesten profitieren“, erklärt Rieder. Nicht alle, die während der Proteste damals auf die Straßen gegangen sind, wären extreme Rechte gewesen. Aber Verschwörungstheorien breiten sich in dieser Zeit verstärkt aus. Rechte nutzen das als Einfallstor. Die Reichsbürger-Szene würde in der jüngsten Vergangenheit immer mehr die Öffentlichkeit suchen. Als Beispiel nennt Rieder die Großkundgebung in München im vergangenen Jahr.

Bei der Großkundgebung treffen sich aktive Reichsbürger aus der Region

Hier demonstrieren zirka 500 Reichsbürger aus ganz Deutschland für ein ‚Deutsches Reich‘ in den Grenzen von 1871, begleitet von Marschmusik und wehenden Fahnen in Schwarz, Rot, Weiß. Organisiert wird diese Veranstaltung unter anderem von Alexander W. aus Altötting. Reichsbürgeraktivitäten werden auch immer wieder im Landkreis Rosenheim wahrgenommen. Bei einer Razzia beschlagnahmen Beamte vornehmlich Datenträger, der Verdacht: Volksverhetzung. Der Einstieg in die Szene läuft oft über sogenannte Seminare, wie das am 22. März in Traunstein.

Wenn Staatsverdrossenheit umschlägt

Die Organisatoren wollen dort ‚Basiswissen‘ vermitteln, über die ‚tatsächliche Geschichte‘ sprechen. Der Verfassungsschutz warnt: „Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Per­sonen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein.“ Und auch das Bundesinnenministerium nimmt die Bedrohung durch diese Personen ernst, denn das Potenzial zur Gewaltbereitschaft sei sehr hoch.

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