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Dem neuen Papst wurde vor seiner Wahl vorgeworfen, Missbrauch zu vertuschen. Doch wer steckt hinter den Vorwürfen? Eine peruanische Journalistin erzählt
Die Investigativjournalistin Paola Ugaz kennt Francis Prevost seit Jahren. Sie hat mit ihm gearbeitet, als die peruanische katholische Kirche in einen grossen Missbrauchsskandal verwickelt war.

Am Freitag um Mitternacht geht Paola Ugaz ans Telefon. Die peruanische Investigativjournalistin ist in Rom. Seit der Wahl von Robert Francis Prevost zu Papst Leo XIV. hat sie nur wenige Stunden geschlafen. Denn der Überraschungspapst aus den USA, der praktisch seine ganze Kirchenkarriere in Peru verbracht hat, ist für die meisten ein Unbekannter. Nicht für Ugaz. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Pedro Salinas hat sie ein Buch über eine mächtige katholische Sekte geschrieben, das in Peru ein Erdbeben auslöste und ihr Schicksal mit dem des zukünftigen Papstes verwob. Im Zentrum stehen Missbrauchsvorwürfe.
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Paola Ugaz, wie haben Sie den heutigen Papst kennengelernt?
Wir trafen uns im Jahr 2018. Ich hatte ein paar Jahre zuvor ein Buch über Missbrauch in der katholischen Organisation Sodalitium Christianae Vitae veröffentlicht. Wir trafen uns bei Gesprächen mit Opfern. Ich erinnere mich, wie er bei diesem Treffen auf ein sehr aufgewühltes Opfer zuging und die Person beruhigte. Seither habe ich Robert, also Papst Leon XIV., viele Male getroffen, und mein Eindruck hat sich bestärkt. Er ist ein ruhiger, einfühlsamer, kluger Mensch.
Wer ist diese Sodalitium – oder Sodalicio, wie die Organisation in Peru heisst?
Es ist eine konservative katholische Organisation, bestehend aus Laien und Ordensleuten. Die Gemeinschaft wurde 1971 von dem ehemaligen Studentenführer und Theologen Luis Fernando Figari als Antwort auf die Befreiungstheologie gegründet, die sich für die Armen einsetzte. Ihre Anhänger und Mitglieder kamen vor allem aus der Ober- und der Mittelschicht, viele waren Politiker und Unternehmer. Das einflussreiche Netzwerk hatte Anwaltsbüros, Kontakte zu Medien, und bei Ermittlungen 2023 kam heraus, dass es über zwei Berater auch die Generalstaatsanwaltschaft beeinflusste. Viele Anhänger von Sodalicio wurden körperlich, sexuell und psychologisch missbraucht.
Wusste der Vatikan davon?
Mit Erlaubnis von Papst Johannes Paul II. baute die Organisation ein millionenschweres Geschäft auf. Sie besass Friedhöfe, Agrar-Exportunternehmen, Immobiliengesellschaften. 2007 wurde eines ihrer ranghohen Mitglieder auf frischer Tat beim Sex mit einem 11-Jährigen in einem Hotel in Lima ertappt, im Austausch für Pokémon-Figuren. Der Täter wurde zwar festgenommen und verurteilt, aber nach zwei Jahren wurde er freigelassen, von einem Richter, der ein Verwandter eines Sodalicio-Mitglieds war.
Daraufhin haben Sie mit Ihrem Kollegen Pedro Salinas jahrelang Nachforschungen angestellt. Sie fanden dreissig ehemalige Mitglieder, die über das Innenleben der Sekte, die Manipulationen, den Missbrauch berichteten. Die Veröffentlichung Ihres Buches löste einen Skandal aus und setzte die Kirche unter Druck.
2018, als Papst Franziskus nach Peru reiste, war der Missbrauchsskandal ein grosses Thema. Doch der Bischof von Piura, ein Mitglied von Sodalicio, erwähnte das bei einem Treffen mit Franziskus mit keinem Wort. Mein Kollege Pedro verfasste darüber eine kritische Kolumne, und kurz darauf wurden wir beide vom Bischof wegen Verleumdung verklagt. Den Prozess konnten wir gewinnen, aber es hagelte weitere. Mir wurden völlig absurde Dinge vorgeworfen, meine Wohnung wurde durchsucht, meine Gespräche abgehört. Pedro ging es ähnlich. Nur ein paar peruanische Bischöfe setzten sich für uns ein, unter ihnen Prevost.
Was passierte dann?
2022 waren wir so verzweifelt, dass wir nach Rom reisten. Wir bekamen eine Audienz bei Papst Franziskus und baten ihn, uns zu helfen, weil wir Journalisten von einer katholischen Organisation mit päpstlicher Genehmigung verfolgt wurden. Franziskus schickte eine Ermittlungsmission nach Peru, und die Dinge kamen ins Rollen. Danach wurden zahlreiche Mitglieder von Sodalicio entlassen, unter ihnen der Bischof von Piura und der Gründer Figari. Prevost war kurz zuvor zum Präfekten der Bischofsbehörde im Vatikan ernannt worden und unterzeichnete die Entlassung.
Wie kommt es dann zu dem vor einigen Monaten und nun wieder vor der Papstwahl erhobenen Vorwurf gegen Prevost, er habe Missbrauchsfälle vertuscht?
Sodalicio ist eine rachsüchtige Organisation, und die Aktion war von langer Hand geplant. Im Mai 2024 publizierten Boulevardmedien Vorwürfe, Prevost habe den Fall eines Priesters vertuscht, der drei Schwestern in Chiclayo missbraucht habe. Der Missbrauch passierte schon zwischen 2005 und 2009. Zwei Schwestern zeigten den Priester 2022 bei der Polizei an, und es wurden Ermittlungen aufgenommen. Die Schwestern wurden auch bei Prevost vorstellig. Wir Journalisten interessierten uns auch für den Fall. Ich erinnere mich noch, dass die Schwestern sich nie über Prevost beklagten.
Wie ging das aus?
Der Priester hatte bis dahin keine Vorstrafen oder Beschwerden, deshalb wollte Prevost den Abschluss des Prozesses abwarten. Aber er suspendierte den Priester und verbot ihm auch, Beichten abzunehmen. Ausserdem schickte er den Fall im Juli 2022 nach Rom zur Glaubenskongregation zur Untersuchung. Im April 2023 stellte die peruanische Staatsanwaltschaft den Fall wegen Verjährung ein, einige Tage später wurde Prevost nach Rom als Leiter der Bischofskongregation berufen. Im August stellte die Glaubenskongregation den Fall aus Mangel an Beweisen ein.
Sie sehen also hier keine Vertuschung, sondern eine gezielte Kampagne gegen den Papst?
Nun ja, man kann natürlich sagen, dass es nie genug ist, was man in Missbrauchsfällen für die Opfer tut. Aber ich sehe da keine Vertuschung durch Prevost.
Aber auch die amerikanische Opfervereinigung Snap hat solche Vorwürfe erhoben. Sie sagt, es habe kein echtes Verfahren gegeben. Die Frauen seien nie zu einer Befragung eingeladen worden. Zudem sei der beschuldigte Priester nur versetzt worden und habe weiter Messen gelesen.
Die Vorwürfe von Snap möchte ich nicht kommentieren. Aber es ist wichtig zu wissen, dass der neue Anwalt der Schwestern ein aus dem Priesteramt entlassener ehemaliger Augustiner ist. Er war bis vor kurzem Vikar in Colorado Springs, einer Hochburg von Sodalicio. Und als der gegenwärtige Bischof von Chiclayo den Schwestern anbot, den Fall erneut zu prüfen, erschien niemand zur Anhörung.
Wieso ist Denver eine Hochburg von Sodalicio?
Die Organisation hatte mehrere internationale Ableger, in Kolumbien, in Ecuador und auch in den USA.
Sodalicio wurde Anfang Jahr aufgelöst. Weshalb?
Ich glaube, als Papst Franziskus von der Schmierkampagne gegen Prevost erfuhr, war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Frau Ugaz, glauben Sie, dass mit der Wahl von Leo XIV. Ihr Leidensweg nun zu Ende ist?
Ich glaube, dass nun Hunderte von Opfern von Sodalicio aufatmen können. Pedro und ich haben immer noch Gerichtsverfahren anhängig, Pedro drohen in einem auf Lügen basierenden Prozess elf Jahre Haft. Für uns ist es also noch nicht vorbei.
Zur Person
PD
Paola Ugaz
Die Investigativjournalistin wurde 1974 in Lima geboren. Sie wurde durch die Aufdeckung von Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs durch die peruanische katholische Gesellschaft Sodalitium bekannt. 2015 erschien ihr Buch dazu, das sie mit Pedro Salinas geschrieben hat: «Mitad monjes mitad soldados».